Dienstag, 31. August 2010

Tobis Sturm auf Carcassonne

Tage 25-29:
Tobis Sturm auf Carcassonne



Kleines Vorwort: Ich habe mir ueberlegt, ueber die Tage, die ich alleine unterwegs nach Carcassonne war, etwas genauer zu schreiben und hierbei auch einige meiner Gedanken zu schildern, dir mir so durch den Kopf gegangen sind.
Wenn es Blog-Leser gibt, denen der Text zu ausfuehrlich sein sollte, dann kann ich das gut verstehen. Ich dachte mir aber, dass es fuer einige sicherlich interessant ist, mal zu erfahren, was man sich auf einer Tour so fuer Gedanken macht und was man so an Kleinigkeiten erlebt, die den Reiz einer solchen Tour eben auch ausmachen. Ich werde zwar eh nicht die Zeit haben, immer so ausfuehrlich zu schreiben, aber ueber jegliches Feedback bin ich dankbar!


Tag 25 - Allein' auf Achse
Der Zeitpunkt war also gekommen, an dem Przemek und ich erstmals getrennte Wege gehen bzw. fahren wuerden. Ich muss zugeben: Ein wenig aufgeregt war ich schon, war es fuer mich doch das erste Mal, dass ich wirklich ganz alleine im Ausland war. Zudem noch die Besonderheit, auf dem Rad unterwegs zu sein. Im Falle einer Reifenpanne oder sonstiger Gefahren, wie z.B. Unfaelle, Verletzungen oder gar Ueberfaelle oder Aerger, wenn man mal irgendwo in der Pampa sein Zelt aufschlaegt...in solchen Situationen faehrt man doch immer besser zu zweit - welch geschicktes Wortspiel :-)

Suboptimal war natuerlich auch, dass bei Einkaeufen keiner mehr da war, der das Rad bewachte, solange man sich im Laden aufhielt. Doch hier fielen mir schnell ein paar Moeglichkeiten ein, um einem weiteren Diebstahl (nach dem MP3-Player) aus dem Wege zu gehen.

Am Stadtrand von Bordeaux verabschiedeten wir uns dann kurz und knapp, hatte man sich doch nun 24 Tage non-stop gesehen. Was ich dann keine 5 km spaeter zu sehen bekam, wollte ich erst nicht glauben: Ein Anstieg nach Floirac! Dass wir uns allmaehlich bergigen Regionen naehern wuerden, war mir klar, doch richtige Anstiege hatte ich erst ab Toulouse erwartet. Es half alles nichts und so fuhr ich den Anstieg hoch.

Burg-Ruine vor Sauveterre

Tatsaechlich sollten die folgenden 40 km bis Sauveterre noch einige weitere Huegel beinhalten, doch dank der Erfahrungen in Nordfrankreich stellten diese keine unueberwindbaren Hindernisse fuer mich dar.
Auch dass wieder vermehrt Autos hupten oder die Fahrer mich durch Handzeichen anfeuerten, zeigte mir, dass dieser Streckenteil mit dem vielen Gepaeck nicht das leichteste Stueck der Tour sein duerfte. In meinem Kopf schimpfte ich wieder ueber das sinnlose Auf und Ab und ueber den Strassenplaner, der sich diesen Verlauf der Landstrasse, wahrscheinlich in einer durchzechten Nacht, hatte einfallen lassen.

Doch ab Sauveterre wurde zum Glueck alles etwas ebener. Kurz nach dem Ort begegnete ich an einem Kreisel zwei Jungs, von denen mir einer nachfuhr und mich auf Franzoesisch zutextete. Nach einem kurzen Gespraech drehte er wieder um und wuenschte mir noch eine gute Reise.

Diese hatte ich auch erst einmal, denn es fuhr sich richtig gut! Eine ebene Strasse, keine groesseren Staedte, in denen man sich gross verfahren koennte und dazu noch Sonne pur! Es war schon etwas zu heiss, aber darueber wollte ich mich nach den vielen Regentagen nicht beschweren; und so fuhr ich immer weiter meinem Schatten nach, waehrend mir die Sonne auf den Nacken knallte.

Gegen Abend machte ich mich dann auf die Suche nach einem Schlafplatz. Da die Region um Marmande jedoch etwas staedtischer wurde, gestaltete sich dies schwieriger als gedacht. Ich heizte durch die Stadt, hatte ich nun keine Zeit mehr zu verlieren. Im Zentrum Marmands sah ich zwei Musiker vor einem Restaurant spielen, sie waren gerade beim Refrain angelangt: "I'm an alien, I'm a legal alien, I'm an Englishman in New York". Leider hatte ich keine Zeit, weiter zuzuhoeren, wollte ich mein Zelt doch noch im Hellen aufbauen und hatte ich kein Licht am Rad, aber das Lied verfolgte mich die naechsten Tage in Form eines Ohrwurms noch weiter.



Bald war mir alles egal und so schlug ich mein Zelt einfach auf einem Acker hinter einem Industriegebaeude auf. Schnell noch Essen gemacht und dann wurde geschlafen. In der Naehe war noch eine Party im Gange, aber auch das konnte mich vom Schlaf nicht abhalten. Auf dem Tacho standen 108,24 km. Wenn man bedenkt, dass wir uns erst gegen 15 Uhr bei gerade einmal 20 km getrennt hatten, so war das doch schon eine Marke, die ich gesetzt hatte.


Tag 26 - Powern bis kurz vor Toulouse


Heute wollte ich herausfinden, wie fit ich wirklich bin und versuchen, mir einen Ruhetag herauszufahren. Ich stand daher frueh auf, baute mein Zelt ab und fuhr los, in Richtung Agen, was urspruenglich mein Ziel fuer Tag 25 war.

Da ich nicht allzu lange geschlafen hatte, merkte ich die Belastung des Vortags noch in den Beinen, aber die Fruehstueckspause sollte bald Abhilfe schaffen. Ich aergerte mich ueber die vielen Felder, die nun sah, auf denen ich ruhiger und laenger haette schlafen koennen.
Die Sonne war auch frueh morgens schon wieder da und die Hitze setzte mir bald ziemlich zu. Dennoch fuhr es sich wieder sehr gut und ich schaffte viele Kilometer mit hohem Tempo. Um 12 Uhr hatte ich bereits 40 km zurueckgelegt, 2 1/2 Stunden spaeter sollten es bereits 72 km sein.

Nach vielen kleineren Pausen entschloss ich mich um 14.30 Uhr dann eine ausgiebigere Pause zu machen, um im Schatten etwas abzukuehlen und erreichte einen Ort, der mir dafuer wie gemalt schien: Ein paar Baenke in der Naehe einer Bruecke, die ueber den Garonne (Fluss) fuehrte; zudem einige schattenspendende Baeume. Hier verbrachte ich die naechsten 1 1/2 Stunden, ass & trank etwas und erfrischte mich kurz im Fluss.

Der Ort meiner langen Pause

Ein Franzose sprach mich kurz vor meiner Weiterfahrt noch an. Ich erzaehlte ihm von meiner Reise und er schien sehr beeindruckt, als ich sagte, ich haette schon mehr als 2000 km hinter mir. Noch groesser wurden seine Augen, als ich meinte, ich wolle noch nach Suedportugal weiterfahren.

Bald sass ich wieder auf meinem Sattel, kaufte nochmals ein und fuhr mit hohem Tempo und vielen kurzen Pausen immer weiter und weiter. Waehrend ich etwas spaeter rastete, schaute ich auf die Karte und bemerkte, wie gut ich doch in der Zeit lag. Toulouse war schon gar nicht mehr so weit weg!


In Moissac verfuhr ich mich dann leider etwas, fand aber bald auf den richtigen Weg zurueck. Vielleicht war ich einfach nur von den Tausenden Tauben abgelenkt, die ab Ortseingang auf einmal auf den Daechern sassen und nach dem Ortsausgang genauso schnell wieder verschwanden - eine merkwuerdige Stadt!

Die Tauben von Moissac

Am Ende des Tages schaute ich dann auf mein Tacho und war sehr stolz: Mit all' dem Gepaeck und bei den fast unzumutbar hohen Temperaturen hatte ich tatsaechlich 134,29 km zurueckgelegt! Ich campierte dann abends auf einem Bauernfeld. Es wimmelte nur so von Muecken, doch es war mir egal - denn ich wollte einfach nur noch schlafen!


Tag 27 - Toulouse und die Qual danach

Frueh wachte ich auf und machte mich auf die Socken, um Carcassonne wieder ein Stueck naeher zu kommen. Auch wenn sich jede Muskelfaser meiner Beine wehrte, so trat ich in die Pedale, um bis zu einem geeigneten Plaetzchen fuer ein Fruehstueck zu kommen. Durch die Belastung des Vortages und den wenigen Schlaf kam ich allerdings zunaechst auf kein so hohes Tempo und ich stellte mir vor, welche Haeme wohl in den Koepfen der Leute vor sich gingen, als ich im Schneckentempo an ihnen vorbeirollte. "Wenn die wuessten, welche Strecke ich gestern und in den letzten Wochen zurueckgelegt hab", dachte ich mir.
Zugleich dachte ich an den Stoff aus dem Sport-Leistungskurs zurueck & ueberlegte, ob es nun schlau oder doch eher sehr dumm war, die Beine jetzt schon wieder zu belasten. Letzteres schien mir wahrscheinlicher und so machte ich bald eine lange Fruehstueckspause.

Waehrend ich ass, entwickelte ich den Plan, heute einfach nur Toulouse anzusteuern und heute somit eine Art Ruhetag einzulegen. Was der Tag noch fuer mich vorgesehen hatte, ahnte ich noch nicht. Und so fuhr ich nach einer laengeren Pause weiter, mittlerweile konnte ich auch wieder etwas mehr Tempo aufbauen.

Toulouse erreichte ich schon gegen Mittag. Da die Landstrasse in eine Autobahn ueberging, musste ich einen ziemlichen Umweg in Kauf nehmen, um in die Stadt einzufahren. Immerhin kam ich so zufaellig am Stadion vorbei. Toulouse erschien mir ansonsten aber als nicht allzu sehenswert und ich entschloss mich daher, doch noch weiterzufahren. Von nun an fuhr ich ohne Karte, da meine nur bis zur Stadtgrenze von Toulouse reichte.

Das Fussballstadion von Toulouse

Durch Nachfragen bei einigen Leuten fand ich dann auch irgendwann den Weg in Richtung Carcassonne. Als ich mich kurz hinter Toulouse voellig verfranzte, mir die Sonne fast den Rest gab, kein so rechter Schatten zu finden war und mein Hinterrad dann auch noch Probleme machte, war ich mit den Nerven voellig am Ende. Es wurde auch nicht besser, als ich zwar zurueck auf dem richtigen Weg war, mein Trinkwasser jedoch zur Neige ging.

Sollte dies doch eine Art Ruhetag werden, musste ich nun zwangslaeufig weiterfahren, um neues Trinken & Essen kaufen zu koennen. Morgen war auch noch Sonntag, sodass ich unbedingt noch einen Supermarkt finden musste. Doch weit & breit kein Laden in Sicht! Als waere das nicht schon genug, kamen jetzt auch wieder Anstiege...


Bald kam dann tatsaechlich doch ein Laden, doch hier konnte ich nicht hineingehen. Davor stand naemlich ein Mann mit Irokesenfrisur, an einer Leine sein Hund mit nur einem funktionierenden Auge. Das andere war komplett weiss. Er sprach mich an, woher ich denn komme. Nach einem kurzen Gespraech stand er dann minutenlang schweigend neben mir, als wuerde er nur darauf warten, dass ich in den Laden ging, um dann die Taschen an meinem Rad abzumachen. Ich will ihm das nicht unterstellen, jedoch erschien mir das Vorhaben als nicht allzu unwahrscheinlich. Besonders skeptisch wurde ich, als er ein paar Meter weiterging und hinter einer Ecke lauerte. Ich fuhr also lieber weiter, ohne eingekauft zu haben. Notfalls wuerde ich halt irgendwo klingeln und dort nach Wasser fragen.

In Montlaur sah ich dann immerhin einen Info-Punkt, an dem eine Karte von der Region angebracht war, sodass ich den Weg zur Landstrasse D2 einigermassen erkennen konnte. Dass die D2 mich in Richtung Carcassonne fuehren wuerde, hatte ich einer Karte entnommen, die ich mir in einer Tankstelle kurz angeschaut hatte.
Die Karte am Info-Punkt war nun allerdings so undurchsichtig, dass ich fast 15 Minuten brauchte, um den richtigen Weg erahnen zu koennen. Waehrenddessen erreichte eine Frau selbigen Info-Punkt. Sie sprach mich auf einer Sprache an, die ich nicht kannte und so war keine Kommunikation moeglich. Dennoch war nach einigen Minuten klar, dass auch sie mit der Karte nicht klarkam. Es ist schon irgendwie komisch: Auf keiner der vielen Sprachen dieser Welt konnte ich mit der Frau kommunizieren und dennoch wusste ich genau, was sie in dem Moment dachte: Danke an denjenigen, der sich diese Karte ausgedacht hat!

Nichtsdestotrotz erreichte ich dann bald die D2. Kurz vor Fourqueveux musste ich absolut alles und noch dazu meinen letzten Schluck Wasser geben, um einen Anstieg zu erklimmen, doch dann war sie da - die Landstrasse, die mich in Richtung Carcassonne bringen sollte.

Kurz darauf wurde ich fuer meine Ausdauer belohnt: In La Bastide Beauvoir fand ich einen Laden, der noch geoeffnet hatte. Ich kaufte gleich 8 Liter Wasser, um fuer heute und den folgenden Sonntag genug Trinken zu haben.
La Bastide Beauvoir
Die Verkaeuferin schaute nicht schlecht, als ich schweiss-ueberstroemt in den Laden kam und 8 Liter Wasser zur Kasse schleppte. Mein Rad, das ich vor der Eingangstuer geparkt hatte, hatte sie auch gesehen und so ahnte sie schon, dass ich auf einer nicht ganz alltaeglichen Reise bin. Sie fragte, wohin ich wolle. Als ich Carcassonne sagte, schien sie etwas geschockt. Ich fragte nach, ob es sehr huegelig bis dahin wuerde, sie nickte mit weit geoeffneten Augen und sagte mit recht hoher Stimme: "Oooh oui!". Als sie ihre Kollegen dazugerufen hatte, erzaehlte ich dann noch, dass ich noch nach Suedportugal wolle, wo ich gestartet bin und war auf einmal der Mittelpunkt des Ladens. Sie bot dann noch an, mir statt des normalen Wassers Flaschen aus der Kuehlung mitzugeben, was ich dankend annahm. Die ersten Schlucke waren die wohl erfrischendsten meines Lebens!

Die Strecke wurde dann tatsaechlich sehr anstiegreich. Durch das Trinken gestaerkt, machte ich dennoch viele Kilometer innerhalb kurzer Zeit und war ueberrascht, zu was meine Beine in der Lage waren.

Auf einmal kam das Schild: Castelnaudary 30 km! Auch wenn ich noch ohne Karte fuhr, so wusste ich, dass es von dort nicht mehr weit bis Carcassonne sein wuerde. Ich war mir nun sicher, Carcassonne schon morgen erreichen zu koennen. In nur ca. 55 Stunden von Bordeaux bis kurz vor Carcassonne - bei dem Wetter, trotz Verfahrens und ohne Karte. Mein Koerper schuettete auf einmal Endorphine ohne Ende aus!

Tour de France ?

Schnell noch eine Abfahrt herunter, bei der ich weisse Schriftzeichen auf dem Asphalt bemerkte (wohl Ueberbleibsel der Tour de France) und dann suchte ich nach einem Schlafplatz. Am Ende des Tages war ich dann zum dritten Mal in Folge ueber 100 Tages-Kilometer gefahren und hatte 108,64 km auf dem Tacho, Castelnaudary nur noch einen Katzensprung entfernt. Den Tag machte dann eine SMS perfekt, in der ich vom 2:1-Heimsieg meines HSV gegen Schalke 04 erfuhr. Ruud van Nistelrooy, du bist der Groesste!


Tag 28 - Im Wind-Canal du Midi

Mein 2500. Kilometer

Ich erwartete einen eher ruhigen Tag, waren es doch nur noch ca. 60 km nach Carcassonne. "Zudem muesste ich die schwersten Anstiege bereits hinter mir haben", dachte ich. Es ging auch relativ locker los, eine recht lange Abfahrt nach eher sanften Anstiegen. Meine Beine waren zwar schwer wie Blei, da ich wieder frueh aufgestanden war, aber dafuer wollte ich es heute ja auch locker angehen lassen.

Doch nach der Abfahrt kam starker Wind auf. Mit einem anderen Fahrradfahrer unterhielt ich mich kurz. Er warnte mich vor dem Canal du Midi! Er sagte, dass dieser von Castelnaudary nach Carcassonne von starkem Gegenwind gepraegt sei; und dann auch noch die starke Sonne heute. Doch ich wollte nicht hoeren und entschied mich dennoch fuer diese Route.

In Castelnaudary kaufte ich noch schnell in einem Laden ein, der sonntags bis 12.45 Uhr geoeffnet hat und dann war ich auch schon drin, im Canal du Midi: Auf den Fotos duerfte man die Staerke des Windes anhand der Fahnen ganz gut erkennen. Es war eine Quaelerei! Wie ich spaeter von Przemek erfuhr, war der Wind im Canal du Midi bis Castelnaudary nicht so stark gewesen. Ich aergerte mich, dass ich das Teilstueck von Castelnaudary bis Carcassonne unbedingt ueber den Canal du Midi bewaeltigen wollte.




Doch mit einigen Pausen und lockerem Tempo ging es dann einigermassen. Ich schaffte nicht nur meinen 2500. Kilometer, sondern erreichte gegen spaeten Nachmittag auch Carcassonne! Ich schaute mir die Stadt grob an und suchte dann den Campingplatz in Trebes. Hier wollten Przemek und ich uns am folgenden Tag wiedertreffen.

extremer Gegenwind


Tag 29 - Erster Ruhetag der Tour

Dadurch dass ich so schnell unterwegs gewesen bin, sollte ich heute also meinen ersten Ruhetag haben. Ich wollte erst einmal ausschlafen, wurde gegen 9 Uhr jedoch unsanft geweckt. Mein Zelt war durch die Sonne zu einer Sauna geworden. Weiterschlafen nicht moeglich! Ich schrieb daher Postkarten und schlug die Zeit tot, bis Przemek den Campingplatz erreichte.

Carcassonne !

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